How to Kill Your Family

AUTORIN │ Bella Mackie
VERLAG │ HaperCollinsPublishers, 2021
SEITEN │ 355 (OV)

INHALT │ KLAPPENTEXT
Deutsch:
„Dürfen wir vorstellen? Grace Bernard – liebende Tochter, beste Freundin und teuflisch gute Serienmörderin. Grace ist eine Serienmörderin und sie mordet aus gutem Grund. Grace rächt sich bei ihrer Familie. Dafür dass sie beiseitegeschoben wurde, weil sie unehelich ist. Dafür dass sie nicht reingepasst hat in die feine, reiche Familie ihres Vaters. Aber noch mehr rächt Grace ihre Mutter, die es nie verkraftet hat, zuerst mit allen Mitteln verführt und dann schäbig vergessen worden zu sein. Eine ebenso zynische wie umwerfende Antiheldin, die scharf beobachtet und noch schärfer urteilt. Und manchmal mordet. Doch egal, was sie anstellt, unsere Sympathie ist ihr sicher.“

Englisches Original:
„They say you can’t choose your family. But you can kill them.
Meet Grace Bernard.
Daughter, sister, serial killer…
Grace has lost everything.
And she will stop at nothing to get revenge.“
(Quelle: beides Amazon) 

REZENSION
Meine erste Begegnung mit dem Buch hatte ich durch die Rezi von @distorted.books. Der Titel und Chris’ Bewertung haben mich neugierig gemacht. Was hat die gute Bella dem armen Chris da textlich angetan, dass er ein 2,5 (von 5) Fazit zog?
Direkt mal Suche bei Amazon. Upsi. Da waren eine Menge mehr an schlechten und wirklich üblen 1-Sterne-Rezensionen. Aber ich kenne diese Art von Rezis und meistens sagen sie nur aus, dass man das Buch an irgendeiner Stelle aus marketingtechnischen Gründen vollkommen falsch beworben hat. Also next step: Leseprobe runtergeladen. Und siehe da, drei Absätze, mehr habe ich nicht gebraucht, um zu wissen, was ich für eine Erzählerin vor mir habe, was mich erwartet und dass es ein grandioser Trip wird. Und genau so war’s.
Es war sofort klar – für mich zumindest – dass hier kein Thriller drinsteckt, sondern ein wacher, kritischer Verstand, der mit sezierenden Blick sein Umfeld bewertet und dabei (für mich) fast immer ins Schwarze trifft. Ein Spiegel der Gesellschaft. Der Armen, der Reichen. Der Businesswelt. Und die Erzählung einer jungen Frau, die ihr Leben einer einzigen Quest unterordnet: Eine ganze Familie auszulöschen.
Grace, die Hauptfigur, war mir dabei nicht immer sympathisch (wie der dt. Teaser verspricht). Sie kam mir oft unterkühlt und emotionslos vor (kein schriftstellerisches Manko, sondern gelungene Absicht, zweifellos). Aber ihren messerscharfen Verstand, ihre forsche, freche Art, die habe ich enorm gemocht.
Was sie alles unternimmt, welche Pläne sie schmiedet, um einen nach dem anderen auszuschalten, das erschien vielen offensichtlich als langatmig, langweilig oder überflüssig. Aber das ist es keineswegs. Nichts davon will ich missen. Der Weg zum Ziel war die Geschichte.
Es ist schon echt ne Weile her, dass ich ein Buch in Händen hatte, bei dem ich mit dem rechten Daumen fühlte, ob noch genug Seiten da sind und das Ende noch weit entfernt ist.
Das Ende, ja, das hat mich echt angekotzt. Aber nicht weil es schlecht geschrieben ist, nicht weil es unlogisch ist, es ist ein sehr gutes Ende, nur eben keins, dass ich mir gewünscht habe.
Ein klasse Buch. Ein super Buch. Wow.

Tabula Rasa – Alles auf Null

AUTOR │ Gregg Irol
VERLAG │ tolino media GmbH, 2022
SEITEN │ 423*
*Um genau zu sein: Es gibt keine Seitenzahlen, sondern 4,23 Euro, die mit jeder umgeblätterten Seite dahinschmelzen, bis genau das bleibt: 0,00 Euro.

INHALT │ KLAPPENTEXT
Fassungslos starrt Martin Heller auf den Bildschirm des Bankautomaten. Sein Konto ist leer. Was er für einen ärgerlichen Irrtum hält, entwickelt sich schnell zu einer internationalen Krise. Denn er steht damit nicht allein. Weltweit wurden die Bankkonten auf Null gesetzt. Alle Guthaben sind weg. Die Schulden auch. Politiker und Finanzexperten arbeiten daran, die Lage in den Griff zu bekommen. Doch die Grundpfeiler des menschlichen Zusammenlebens bröckeln. Und ein skrupelloser Unternehmer, der mit Kryptowährungen ein Vermögen angehäuft hat, nutzt das aufkommende Chaos, um seine eigenen Pläne umzusetzen.
(Quelle: Amazon)

REZENSION
Dass „Tabula Rasa“ ein Debüt ist, fällt schwer zu glauben. Es ist ein grandioses Buch, inhaltlich wie sprachlich. Da hat ein enorm talentierter Autor den Platz betreten, der lange etablierten Kollegen (Eschbach, Schätzing) in nichts nachsteht.
Zu einem Großteil war „Tabula Rasa“ für mich ein absoluter Pageturner. Die Story (Giralgeld ist nicht mehr verfügbar) ist hochspannend. Die Charaktere (Reporter, Bloggerin, Unternehmer, ITler) sind genau was sie sein sollen: menschlich, echt, naiv, gerissen, chaotisch …
Die Auswirkungen sind natürlich katastrophal, auch wenn sie nicht durch eine ohrenbetäubende Detonation beginnen, sondern sich langsam entfalten. Die Hoffnung, irgendwelche Experten könnten Herr der Lage werden, trägt eine ganze Weile – bis sie schwindet und damit auch Gesetz und Ordnung.
Es ist ein Roman, der den Finger auf etwas legt, dass wir als völlig selbstverständlich betrachten, es aber mitnichten ist. Währungen können von Inflation zerfressen werden und kollabieren – leider hochaktuell. Konten können gesperrt, Banken insolvent werden. Und wenn man weit nach Osten schaut, dann können fehlende Social Credits auch für finanzielle Restriktionen sorgen.
Deshalb ist „Tabula Rasa“ nicht nur bedrohlich realistisch (Cyperangriffe), sondern auch ein gesellschaftlich relevanter Text. Digitale Zahlungsströme, gläserner Kunde, Kryptowährungen, digitaler Euro – wohin, in welche Zukunft führt das? Ist am Ende nur „Bares Wahres“?
„Tabula Rasa“ gibt durch den gewieften Unternehmer Fred einen guten Einblick. Fred baut sich in einem kleinen Dorf sein eigenes Reich. Bitcoin macht ihn dort zum König – leicht austauschbar durch jedes beliebige Digitalgeld und jede andere Form von Machtstruktur.
Mit Martin, dem Reporter, sind wir auf der Spur der Täter und versuchen die Hintergründe zu verstehen. Mit Karen (Martins Ex) stranden wir in der Karibik und erleben hautnah, wie schnell es ohne Cash unangenehm wird. Und mit Georg, dem ITler (meinem Liebling), erkunden wir das Darknet und erhalten Einblicke in eine völlig fremde Welt.
„Tabula Rasa“ ist als Reihe angelegt. Und in der Tat gibt es noch sehr viel zu erzählen! Dennoch ist „Tabula Rasa“, zumindest für mich, ein abgeschlossenes Werk, das ein harmonisches, inhaltlich befriedigendes Ende liefert.
#TabulaRasa ist ein grandioser Text, mit guten Figuren, exzellenten Dialogen und einer überaus interessanten Story. Absolut super!

LIEBLINGSSÄTZE
(3,07 Euro) „Die Aussicht, ein paar Tage kein Geld auf dem Konto zu haben, war für den durchschnittlichen Berliner ein normales Monatsende.“
(3,41 Euro) „Er hatte im Internet Shitstorms beobachtet, die freundlicher waren als die Willkommenskultur in Bosdorf.“

Sanaris

AUTORIN │ Gina Grimpo
VERLAG │ BoD
SEITEN │ 293
ERSCHIENEN │ März 2022

INHALT │ KLAPPENTEXT
Sie hatten ihn durchleuchtet, um sicherzugehen, dass sie ihm drohen und ihn gleichzeitig mit ihren Versprechungen locken konnten. Und sie mussten sicherstellen, dass er über das, was er jetzt sah, nie ein Wort verlieren würde. Europa, irgendwann in der Zukunft. Einige Länder des Kontinents haben sich zu dem Staat Erimus zusammengeschlossen. Krankheiten gelten als nahezu ausgemerzt. Jeder Einwohner ist zum Schutz der eigenen Gesundheit zur Einnahme staatlich verordneter Vitamine verpflichtet. Dem Nachtwächter Luke, der für das Pharmaunternehmen Sanaris arbeitet, wird eine neue Stelle angeboten. Im streng geheimen Labor, in dem die Vitamine entwickelt werden, blickt er hinter die Kulissen und entdeckt den erschütternden Grund für das scheinbar perfekte und sorgenfreie Leben, das ihm und seinen Mitmenschen vergönnt ist. Für einen Rückzieher ist es zu spät, denn Sanaris erkauft sich Lukes Schweigen zu einem hohen Preis.
(Quelle: Amazon)

REZENSION
Drei Dinge haben mich an #Sanaris ganz besonders gepackt und bewegt:
ERSTENS schafft es @seitenweiseGina auf meisterliche Weise, eine atmosphärische Düsternis zu erzeugen, die zwischen den Zeilen entsteht. Man fühlt regelrecht die leeren, stillen Flure des Sanaris-Firmengebäudes. Aber auch Lukes Leben, wie vermutlich das Leben aller Menschen in Erimus, ist von absoluter Gleichförmigkeit geprägt – so war zumindest mein Empfinden. Einer Gleichförmigkeit, die für Luke Stabilität und Verlässlichkeit bedeutet, aber dem Leser subtil deutlich macht, dass wir es hier mit einer „1984“-artigen Gesellschaft zu tun haben. Schlafen, arbeiten und wieder von vorn. Dazwischen kleine Freiräume für bescheidenes Glück in den eigenen vier Wänden – für manche, nicht für alle.
Ein Absatz, der das grandios darstellt, ist auf der eBook-Position 66/802 zu finden:
„Er hatte sich mit müdem Gesicht zwischen andere müde Gesichter gequetscht, viele von ihnen waren auf dem Weg zur Arbeit, einige wenige, so wie er, auf dem Heimweg gewesen.
Eine immer gleiche Tristesse, deren schaler Geschmack sich auf die Atemluft im Inneren des Busses niedergeschlagen zu haben schien.
Die Luft war dick gewesen, hatte träge über ihnen gehangen und nur gelegentlich war etwas unverbrauchter Sauerstoff hineingeströmt, wenn ein paar der müden Gesichter an einer Haltestelle gegen einen neuen Schwung müder Gesichter getauscht worden waren.“

ZWEITENS zeigt #Sanaris das Individuum „Luke“ in einer greifbaren Zerreißprobe: Das moralisch Richtige versus das gesellschaftlich Geforderte, die einander ausschließen. Dieser Kampf, dieses Ringen mit sich selbst, ist emotional fühlbar und für mich völlig glaubwürdig dargestellt. Luke, der verlässliche Nachtwächter, der eigentlich viel mehr weiß, als er offen zugibt; der vorzieht, zu schweigen und damit das Interesse seiner Vorgesetzten weckt, die genau jemanden wie ihn suchen: pflichtbewusst und angepasst. Lukes Zögern, das moralisch Richtige zu tun, hat ihn (erstaunlicherweise) in meinen Augen nie schwach wirken lassen, sondern machte ihn nur zu einem verlässlichen, liebenden Partner.

DRITTENS ist #Sanaris auf eine traurige Weise so aktuell wie kaum ein anderes Buch in meiner (digitalen) Bibliothek. Es beschreibt eine durchaus wahrscheinliche Zukunft, die einerseits einen Planeten zeigt, der durch massive Umweltschäden so gut wie unbewohnbar geworden ist und andererseits eine Gesellschaft, in der Corporate Governance und Shareholder Value alle demokratischen Prozesse abgelöst oder zumindest weitgehend ausgehöhlt haben.
Man mag Zweifel am Klimawandel haben, aber bebaute Flächen weiten sich stetig aus, Erosion durch extensive Landwirtschaft und Viehzucht, Verseuchung und Überfischung der Meere, zunehmender Wassermangel, Brandrodung – alles offensichtliche Dinge, für deren Beobachtung man kein Experte sein muss.
Und genau so sieht es jenseits von Erimus aus.
In Erimus selbst herrscht der Pharmakonzern #Sanaris mit den Methoden eines technokratischen Überwachungsstaates, auch das hätte nicht anschaulicher dargestellt werden können. Aktueller geht es nicht.
Pointiert ist das auf Position 481/802 zusammengefasst: „Kein Impfstoff, kein Profit. So lautete die einfache Rechnung in Wennigers Universum. Und es gab in diesem Universum kein Leben, das es wert war, über den Profit gestellt zu werden.“

FAZIT
Nach #TabulaRasa von @GreggIrol, die zweite Dystopie, die hochaktuell und sehr präzise den Finger in die Wunde legt. #Sanaris zeigt auf ergreifende Weise den Menschen im moralisch-gesellschaftlichen Spannungsfeld zwischen Ideal und Wirklichkeit. Eine Romanwelt, die leider eine realistische Zukunft entwirft, wenn wir nicht gegensteuern, durch politisches Engagement, informierte Entscheidungen, Vernetzung und am Ende: Rebellion. Denn letztlich sind wir alle „Luke“.

#Selfpublishing #SciFi #ScienceFiction #BookstagramGermany #BookstagramAustria #Bookstagram #Dystopie #Gesellschaftskritik #Autorin #Leseabenteuer #instagramverbindet #Buchempfehlung #dystopiebücher #buchrezension #dystopieliebe

Lindenherz – 824 Jahre durch die Zeit

AUTORIN │ Tala T. Alsted
VERLAG │ Tredition (das eBook gibt es auf Amazon KDP)
SEITEN │ 688
ERSCHIENEN │ März 2022

INHALT │ KLAPPENTEXT
In einem alten Spiegel sieht die 17-jährige Katharina nicht sich selbst, sondern einen geheimnisvollen Wald. Sie entdeckt ein Loch in der Zeit, das sie 824 Jahre in die Vergangenheit und wieder zurück bringt. In der mittelalterlichen Version ihres Ortes begegnet ihr der Knappe Johann – von Anfang an fühlt sie sich zu ihm hingezogen. Immer mehr Rätsel drängen sich auf und offenbar hängt alles eng mit Katharinas eigener Familiengeschichte zusammen. Aber Johann und Katharina müssen sich trennen – bis ein Notfall Katharina Jahre später zu einer weiteren, gefährlichen Reise ins Mittelalter zwingt.
(Quelle: Amazon)

REZENSION
Normalerweise, das muss ich ehrlich zugeben, lese ich keine Jugendbücher. Die genre-geforderte Elternbeziehung, das jugendliche Hadern mit sich selbst, den Freunden und der Welt – das ist nicht mehr so ganz meine Kragenweite. Aber Zeitreise, das ist ganz und gar mein Ding. Insbesondere auch die mögliche Rückwirkung auf die Zukunft/Gegenwart.

Lindenherz war eine angenehme Lektüre. Sehr unterhaltsam. Streckenweise unglaublich spannend. Gefühlvoll und mit ganz viel Herz geschrieben. Aber was mir an Lindenherz besonders gut gefallen hat, war zum einen der Einblick in eine lange vergangene Zeit. 824 Jahre zurück in der Geschichte. Für mich, als geschichtsinteressierte Leserin, hätten es gerne noch mehr historische Informationen sein dürfen und noch mehr Alltagsdetails, aber als Jungendbuch mehr als ausreichend, um die enormen Unterschiede zwischen Damals und Heute darzustellen. Das ist insbesondere in Johann gelungen ausgearbeitet, der völlig zu Recht ein „Kind seiner Zeit“ ist und entsprechende Ziele und Ansichten hat.

Ein weiterer Punkt, weshalb ich #Lindenherz mit Nachdruck jugendlichen Leserinnen empfehlen möchte, ist die Rolle der Frau, die hier völlig korrekt beschrieben wird. Denn dass Frauen ohne Familie schutzlos waren (in manchen Ländern nach wie vor sind), dass sie keine Rechte hatten und sich ihr Lebensalltag meist auf den häuslichen Bereich beschränkte, all das sind Tatsachen, die man nicht besser hätte übermitteln können. Was wir heute, in der westlichen Welt, erreicht haben und das man unter dem Begriff „FREIHEIT“ zusammenfassen muss, das ist ein sehr zerbrechliches Gefüge, das wir als unser höchstes Gut betrachten und dem wir immer unsere ganze Aufmerksamkeit schenken sollten – oder mit den Worten von Thomas Jefferson: „The Price of Freedom is eternal vigilance“, Der Preis der Freiheit ist ewige Wachsamkeit.

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Tala hat übrigens den ganz wunderbaren Buchblog „Wortlicht“ und ist auf Lovelybooks sehr aktiv. Es lohnt sich vorbeizuschauen!